Philosophie als Weg der Erkenntnis


Erhellende Impulse durch die Philosophie des Geistes, des Konstruktivismus, der Phänomenologie und den integralen Perspektiven

Dass die Philosophie nicht wegzudenken ist, wenn über das Selbst- und Weltbild des Menschen nachgedacht wird, wird Ihnen auf diesen Seiten immer wieder aufgefallen sein. Deshalb ist auch eine unbedingte interdisziplinäre Zusammenarbeit von Geistes- und Naturwissenschaftlern anzustreben. In den letzten Jahren scheint sich da eine fruchtbare Zusammenarbeit anzubahnen, vor allen Dingen mit den Neuro- und Kognitionswissenschaften. So hat sich heute eine "Philosophie des Geistes" herausgebildet, die drei Themenbereiche einschliesst: 1. Das Grundproblem des Phänomenalen Bewusstseins, 2. Das Grundproblem von Körper und Geist oder Leib und Seele und 3. das Grundproblem der Intention, denn unsere Wünsche und Willensakte sind auf bestimmte Ziele gerichtet.

Die Anfänge und Problemstellungen der Philosophie

Philosophie entstand in dem Moment in der Geschichte der Menschheit, als die Menschen anfingen, über sich und die Welt nachzudenken. Die dabei entstehenden Gedanken fügten sich zu bestimmten Ansichten, Weltanschauungen und Weltbildern zusammen. Am Anfang waren diese Weltbilder noch mit animistischen, magischen, mythischen und religiösen Inhalten verbunden. Die Weltbilder entstanden in den einzelnen Kulturen auch zeitlich sehr unterschiedlich. In einigen Fällen waren sie isoliert, in anderen Fällen berührten sie sich durch die Völkerwanderungen, durch die Seefahrt und den sich daraus entstehenden Handelsbeziehungen. Auch philosophische Ideen wurden so transportiert und untereinander ausgetauscht. Nach den Weltbildern der Geister und Götter richtete sich das Denken immer mehr auf das Wissen über die Natur (wie z.B. bei den "Naturphilosophen" im antiken Griechenland) und sich selbst ("Wer bin ich?"). Der Mensch entwickelte so im Laufe der Zeit die Fähigkeit, die Welt rational, verstandesmässig zu ergründen und als seine "Wirklichkeit" zu verstehen. Es ging dabei auch immer um die "Wahrheit" und die Führung eines guten Lebens, weshalb ein Ziel der Philosophie auch immer die Weisheit (sophia) war, eine Synthese aus Vernunft und Ethik. Die "Liebe zur Weisheit" gab dann auch der Philosophie ihren Namen.

Philosophie befasst sich mit drei grossen Problemkreisen:

1. Eine Erkenntnistheorie (das erkennende Subjekt und Erkenntnis als sein Werkzeug)
2. Eine Wirklichkeitstheorie (das Sein und das Weltbild)
3. Eine Werttheorie (Ethik als geistiges Streben)

Alle drei Problemkreise spielen auch bei einer Philosophie des GEWAHRSEINS eine Rolle. Denn ohne GEWAHRSEIN ist kein Bewusstsein, und damit auch kein Erkennen möglich. GEWAHRSEIN ist die Grundlage, um Sein und Wirklichkeit zu realisieren. Und letztlich führt GEWAHRSEIN wegen der ALL-EINHEIT und Nondualität zum höchsten Wert im Menschsein überhaupt und deshalb zu einer Ethik, die in sich selbst begründet ist.

Schon lange bevor im Westen eine auf Vernunft gründende Philosophie entstand, die auch ohne ein theistisches Weltbild auskam, hatte sich bereits im frühen Indien eine solche Philosophie entwickelt: die Samkhya-Philosophie. Auf ihr gründete wahrscheinlich sehr viel später Gautama Buddha seine Philosophie von den Vier Edlen Wahrheiten und dem Achtfachen Pfad als Praxis zur Überwindung des Leidens. Buddha wandte sich ganz entschieden gegen ein theistisches Weltbild und gründete deshalb auch keine Buddhismus genannte Religion, was viele Menschen heute aber immer noch annehmen.

Auf der Lehre Buddhas wiederum aufbauend entstand der Zen-Buddhismus, der auch mit dem chinesischen Taoismus eine Verbindung einging. Besonders in Japan erreichte Zen eine hohe kulturelle Blüte, woraus auch die Künste der Kalligraphie, des Teeweges und der Blumensteckkunst (Ikebana) hervorgingen. Auch die Kampfkünste haben hier ihre Wurzeln.

Für mein tiefes Verständnis von GEWAHRSEIN war besonders der japanische Zen-Meister Shinichi Hisamatsu entscheidend. Er war Zen-Meister und Professor für Philosophie an der Universität von Kyoto (von 1922 - 1949). Er stellt dem religiösen (theistischen), nihilistischen und humanistischen Weltbild eine Philosophie des Erwachens als Notwendigkeit für unsere Zeit entgegen. Darin beschreibt er die Realisation des GEWAHRSEINS als eigentliche Seinsweise des Menschen.

In unserer abendländischen Kultur entwickelte sich die Philosophie im antiken Griechenland. Die Philosophen vor Sokrates (469 - 399 v. Chr.) fasst man unter dem Begriff Vorsokratiker zusammen. Einige davon waren Naturphilosophen, andere machten sich über das Sein Gedanken. So fasste z.B. Parmenides um 500 v. Chr. seine Einsichten in vier Thesen zusammen:

1. Das Sein ist die Grundlage von allem Existenten.
2. Das Sein ist mit sich selbst identisch.
3. Das Sein ist nicht widersprüchlich.
4. Das Sein ist jenseits der Zeit, also in ewiger Gegenwart

Sokrates gilt historisch als erster bedeutender Philosoph. Sein bekanntester Schüler war Platon (428 - 348 v. Chr.). Platons Philosophie des Seins wurde später von den Neuplatonikern fortgesetzt, z.B. von Plotin (205 - 270 n. Chr.), der das höchste ewige Seiende als das EINE bezeichnete.

Das weltweite Aufkommen von Philosophie in der "Achsenzeit" war die erste Aufklärung, die die mythisch-religiösen Weltbilder zugunsten vernunftbegründeter Weltanschauungen bedrohte, aber nicht wirklich beseitigen konnte. So blieb während des Mittelalters das theistische Weltbild bestehen, obwohl viele Elemente der griechischen Philosophie dort einflossen und aufgenommen wurden. Sie bildeten die Grundlagen für das theologische Denken.

Der Konflikt zwischen Philosophie und Naturwissenschaft wurde durch René Descartes (1596 - 1650) eingeleitet. Er gilt als Begründer des neuzeitlichen Rationalismus, war aber ein gottgläubiger Mensch. Er versuchte, Gott erkenntnistheoretisch zu beweisen. Der bekannte Ausspruch "Ich denke, also bin ich" ist der erste Grundsatz seiner Philosophie. Er kam offenbar nicht darauf, den Satz umzukehren: "Ich bin, deshalb denke ich"!

Erst seit der offiziellen Aufklärung des 17. und 18. Jh. kam es zum Sieg der Vernunft. 1784 schrieb Immanuel Kant: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“ Oder wie es Dorinda Outram, Geschichtsprofessorin der Universität Rochester, 1995 in ihrem Werk The Enlightenment schrieb: „Aufklärung war der Wunsch danach, dass menschliche Angelegenheiten von der Vernunft geleitet werden anstatt durch Religion, Aberglauben oder Offenbarung; und der Glaube an die Kraft der menschlichen Vernunft, die Gesellschaft zu verändern und das Individuum von den Fesseln der Tradition oder der willkürlichen Autorität zu befreien. All dies gestützt durch eine Weltanschauung, die zunehmend durch die Wissenschaft anstatt durch Religion oder Tradition validiert wird.“

Phänomenologie und Konstruktivismus

Für GEWAHRSEIN sind zwei geschichtlich nachfolgende Philosophien sehr wichtig: die Phänomenologie und der Konstruktivismus. In einem gewissen Sinne war bereits die Lehre Buddhas eine kritische Phänomenologie.

Als Begründer der Phänomenologie gilt Edmund Husserl (1859 - 1938). Phänomen bedeutet in der Erkenntnistheorie die Erscheinung von etwas, nicht sein Wesen, nicht das "Ding-an-sich". Bei Husserl ist es geradezu umgekehrt: Das Erscheinende ist das Wesen, etwas anderes gibt es dahinter nicht. Das Erscheinende ist die Wirklichkeit. Alles Wesentliche meint im Grunde Geistiges. Er propagierte eine Methode, wie man durch eine Reduktion aller Erkenntnis auf das Wesentliche (er nannte es Epoché, im Sinne von „Innehalten“) zum reinen Phänomen vordringen kann und sich dabei von allen Konstrukten, Gedanken, Meinungen usw. befreit. Es ist kein Absehen von der Welt zugunsten des reinen Bewusstseins, sondern es soll zur Durchleuchtung und Erhellung aller Bewusstseinsphänomene führen. In diesem Sinne ist seine Methode mit der Zen-Meditation zu vergleichen, die sich auf das konzentriert was in jedem gegebenen Moment IST. Deshalb sind auch japanische Denker der Phänomenologie zugeneigt.

Husserls Denken hat Philosophen wie Maurice Merleau-Ponty, Martin Heidegger und Max Scheler beeinflusst. Auch Heinrich Rombach (1923 - 2004), Ordinarius für Philosophie am Lehrstuhl der Universität Würzburg, hat sich um eine Weiterentwicklung der Phänomenologie bemüht. Husserl hatte sich Gedanken über die Entstehung des Ichs gemacht und vermutete, dass es ein transzendentales Ur-Ich, ein transzendentales Subjekt geben müsse. Phänomenologisch ist das Ich aber selbst ein Phänomen, das bei der Wahrnehmung entsteht. Merleau-Ponty hat herausgearbeitet, wie sich die Leiblichkeit des Menschen in der Wahrnehmung konstituiert. Der biologische Organismus des Menschen ist nur als wahrnehmender Lebensleib lebensfähig. Deshalb geht GEWAHRSEIN und Wahrnehmen allen Phänomenen voraus.

Der Konstruktivismus geht hingegen davon aus, dass alle Phänomene vom Betrachter selbst durch den Vorgang des Erkennens konstruiert werden. Das deckt sich mit den Aussagen von Neurowissenschaftlern, dass wir "da draussen" nicht eine Wirklichkeit wahrnehmen, sondern nur eine Repräsentation der Welt in unserem Gehirn. Danach wären wir nie wirklich mit der Wirklichkeit in Kontakt, sondern erzeugten uns eine eigene Wirklichkeit. Das ist Ansicht des Radikalen Konstruktivismus. Im Erlanger Konstruktivismus wird die Ansicht vertreten, dass es sich dabei um eine gemeinsame Konstruktionsweise handelt. Dabei bleibt aber das Problem bestehen, ob die Konstrukte unabhängig von der Konstruktion existieren. Nach der Phänomenologie sind alle Dinge immer eine Erscheinung "für mich" und niemals "an sich". So gibt es zwar eine wirkliche Wahrnehmungswelt, aber keine "objektive". Die Phänomene jedweder Art sind keine Welt ausserhalb des Bewusstseins. Was wir wahrnehmen ist schon immer wahrnehmend aus gemeinsamen Erfahrungen verstanden. Es sind Sehweisen, die uns aus langen Gewohnheiten und übernommenen Vorstellungen konditionieren. Deshalb gibt es im Konstruktivismus keine Beliebigkeiten.

Der Konstruktivismus findet sich in vielen Fachbereichen, deshalb kann er auch nicht einer bestimmten Gründerpersönlichkeit zugeschrieben werden. Wichtige Beiträge lieferten jedoch Heinz von Foerster (Kybernetik), Ernst von Glasersfeld (Biophysik), Paul Watzlawick (Psychotherapie), Siegfried Schmidt (Literatur) und die Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela, die sich mit den biologischen Wurzeln des Erkennens beschäftigt haben. Sie entdeckten mit ihren Experimenten, dass immer das Subjekt an der Schöpfung seiner nur scheinbar objektiven Welt beteiligt ist. Unbeabsichtigt sind diese Biologen zur Philosophie gekommen, woraus sich eine neue Ethik ableiten lässt: Wir existieren immer in einer Welt, die wir mit anderen zu teilen haben und mit anderen zusammen konstruiert haben. Und dies am besten in Liebe und Verantwortung.

Zwischen der Phänomenologie und dem Konstruktivismus gibt es keinen Widerspruch, wie man meinen könnte. Eine Synthese aus beiden führt zu einer integralen Sicht, weil die sich darbietenden Phänomene der IST-Welt die Resultate aus den vorausgehenden Bedingtheiten der Konstrukte und deren Intentionen sind. Ohne ein Eingreifen durch Handeln würden wir nur den Fluss einer undifferenzierten und unbestimmten Fülle an Möglichkeiten wahrnehmen.

Maturana/Varela: "Der Kern aller Schwierigkeiten, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, ist unser Verkennen des Erkennens, unser Nicht-Wissen um das Wissen.

Fazit: Die Realisation von GEWAHRSEIN führt zum höchsten Wissen und Erkennen über die Konstruktion und Funktion unserer inneren und äussere Wirklichkeit.